Nanu? Letzte Woche haben wir doch gelesen, dass C. Falkenhorst der Meinung war, eine Kinderstube brauche es nicht. Und nun will er uns erzählen, es brauche ein Säuglingszimmer? Nein, es geht ihm um die Wochenstube. Da würde ich jetzt Tipps für das Bett oder den Wickeltisch erwarten. Aber er schreibt:
Der Säugling stellt auch an die Wohnung besondere Anforderungen. In den ersten Lebenswochen beschränkt sich seine Thätigkeit auf Trinken und Schlafen. Der Neugeborene schläft 20 bis 23 Stunden am Tag; nach Ablauf der ersten Woche verringert sich das Schlafbedürfniß auf 18 bis 20 Stunden, es nimmt dann stetig ab, während der ganzen Dauer des ersten Lebensjahres ist aber ein langer Schlaf für die Entwickelung des Kindes unentbehrlich, er muß je nachdem 12 bis 15 Stunden betragen.
Der Neugeborene ist zart und gegen äußere Temperatureinflüsse sehr empfindlich. Es ist klar, daß ein Körper von zehn Pfund Gewicht sich rascher erwärmt und rascher abkühlt als ein solcher von 100 oder 200 Pfund Gewicht. Man darf darum, was die Temperatur anbelangt, von dem Gefühl des Erwachsenen nicht auf das eines Säuglings schließen. Bei einer Temperatur, in welcher der Erwachsene sich unbehaglich fühlt, kann sich der Säugling bereits erkälten, bei einer Temperatur, welche dem Erwachsenen höchstens eine leichte Erkältung bringt, kann der Säugling bereits erfrieren. In der ersten Lebenswoche vermag kühle Luft den Neugeborenen bereits zu tödten. Das Säuglingsalter ist nicht die Zeit, in der man die Kinder abhärtet.
Der Säugling kommt im höchsten Grade pflegebedürftig auf die Welt und die Anforderungen, die er an die Wohnung stellt, lassen sich am besten in die Worte zusammenfassen: "Gleichmäßige Umgebung". Wir müssen ihm Zeit lassen, nach und nach mit zunehmendem Wachsthum und fortschreitender Entwickelung der Sinne mit der Außenwelt in engere Beziehung zu treten.
Was die Wahl des für den Säugling bestimmten Zimmers anbelangt, so läßt dieselbe in der ersten Zeit nichts zu wünschen übrig. Ueberall wird das beste, luftigste und angenehmste Zimmer für die Wochenstube eingerichtet.
In diesem Zimmer müssen wir für eine gleichmäßige Umgebung des Säuglings sorgen.
Was die Wärme anbelangt, so sollte die Temperatur im Zimmer stets auf 16 bis 18° R gehalten werden. Das Thermometer muß dabei nicht zu hoch an der Wand, sondern etwa in der Brusthöhe angebracht werden. Zu vermeiden ist dabei, daß das Bett des Säuglings nicht zu nahe am Ofen steht, wenn die Geburt zu einer Zeit erfolgt ist, in der wir heizen müssen. Ebenso ist der Platz nahe am Fenster zu verwerfen.
Die gleichmäßige Wärme im Säuglingszimmer darf jedoch nicht auf Kosten einer mangelhaften Ventilation erkauft werden. Die Luft im Säuglingszimmer soll temperiert, dabei aber durchaus rein sein. Was man in hygienischer Beziehung unter reiner Luft zu verstehen hat, das haben wir bereits in der zweiten Abtheilung ausführlich mitgetheilt. Für die ersten Wochen des Säuglings möchten wir aber doch eine besondere Sorgfalt und Vorsicht in der Ventilation empfehlen.
Fallen diese Wochen in den Hochsommer mit heißen und schwülen Tagen, so wird man wohl kein Bedenken zu tragen brauchen, zeitweilig in der Wohnstube selbst das Fenster zu öffnen, wobei man aber jede Zugluft vermeiden muß. Im Winter wird die Zufuhr der reinen Luft in das Säuglingszimmer dadurch besorgt, daß man ein Nebenzimmer lüftet und dann die Thür zu dem Wochenzimmer öffnet. Man braucht dabei weniger häufig die Fenster zu öffnen, da der Luftaustausch zwischen Stuben- und Außenluft im Winter rascher vor sich geht als im Sommer.
Im Allgemeinen muß die Luft im Zimmer so gehalten werden, daß man beim Eintreten in dasselbe keinen Geruch irgend welcher Art wahrnimmt. Diese Aufgabe ist in einem Zimmer, in welchem Mutter und Kind liegen, nicht so leicht zu erfüllen, aber man kann sie umso eher erfüllen, je mehr man auf Reinlichkeit bedacht ist. Wenn man jede unsaubere Wäsche, jede schmutzige Windel, alle unreine Flüssigkeit sofort aus dem Wochenzimmer entfernt, so wird man viel zur Reinerhaltung der Luft beitragen.
Die Gleichmäßigkeit der Umgebung ist auch in anderer Hinsicht zu erstreben; in den ersten Wochen sind grelle Einflüsse, die auf die Sinnesorgane des Säuglings einwirken könnten, fernzuhalten.
Dies bezieht sich zunächst auf das Licht. Früher führte man die Augenerkrankungen der Neugeborenen auf schädlichen EInfluß des Lichtes zurück und hielt das Wochen- und Säuglingszimmer möglichst dunkel. Wir wissen heute, daß die Mehrzahl dieser Erkrankungen durch Unreinlichkeit verursacht oder von der Mutter auf das Kind übertragen wird. Eine Verdunkelung des Wohnzimmers ist nicht nöthig und nicht zu empfehlen. Wohl aber muß man in Betracht ziehen, daß die zarte Netzhaut des Neugeborenen sich erst allmählich an Lichteindrücke gewöhnen muß, und man soll darum für gedämpftes Licht sorgen. Am zuträglichsten erweist sich eine Helligkeit, welche der an trüben Regentagen gleichkommt. In der Regel, wenn die Sonne nicht ins Fenster scheint, wird es genügen, einfach die Rouleaux herabzulassen; nur wenn direktes Sonnenlicht fernzuhalten ist, wird man noch zu dunklen Vorhängen greifen müssen.
Was die Ruhe anbelangt, so sind lautere Geräusche in der ersten Zeit schon aus Rücksicht auf die Mutter zu vermeiden; wenn auch der Gehörsinn des Kindes sich später entwickelt, so ist doch darauf zu achten, daß es nicht durch zu lautes Reden, Pochen, Klingeln und dergleichen aus dem Schlaf plötzlich geweckt werde.
Die Hauptsorge der Eltern wird sich in der ersten Zeit auf die Ernährung des Säuglings richten müssen. Am glücklichsten ist das Kind, dem die Mutter selbst die Brust geben kann. Leider wird die Zahl dieser Kinder in besseren Kreisen immer geringer. Viele müssen künstlich ernährt werden. Damit werden sie einer Reihe neuer und schlimmer Gefahren ausgesetzt. Die Ernährung des Säuglings kann nicht einen besonderen Abschnitt eines Buches über die gesunde Wohnung bilden. Wir möchten die Mütter an dieser Stelle nur kurz auf das verweisen, was wir über den Milchgenuß in dem Abschnitt Küche und Gesundheit gesagt haben. Wir rathen ihnen dringend, es zunächst mit dem Soxhletschen Apparat, der ja jetzt in jeder Apotheke zu haben ist, zu versuchen, und keins der angepriesenen künstlichen Nährmittel ohne Zustimmung des Arztes anzuwenden. Ein gesunder Säugling wird bei richtiger Pflege mit der nach dem Soxhletschen Verfahren bereiteten Milch gedeihen - bei Störungen des Wohlbefindens muß der Arzt möglichst bald um Rath gefragt werden.
- Das Buch von der gesunden und praktischen Wohnung. C. Falkenhorst, Leipzig, 1891
Als nächstes schreibt Falkenhorst über die Wiege. Später noch über das Schlafzimmer, in dem ja auch die Kinder schlafen sollen. Diese Texte folgen in den nächsten Wochen.