Der Arzt Thomas Joseph Lauda war ein Verfechter des Co-Sleepings für Babys in den ersten Monaten. Nachdem Lauda in seiner Buch "Pflichten gegen Kinder" von 1855 über die Vorteile des Co-Sleepings referiert und festgestellt hat, dass Babys ohne Co-Sleeping schlechter schlafen, widmet er sich den Gründen, warum es dennoch oft nicht statt findet. Er sieht die Hauptursache in unverständigen Hebammen und Ärzten und macht sich daran, deren Argumente zu widerlegen.
"Man findet aber viele Frauen, welche ihren Kindern die mütterliche Wärme nicht angedeihen lassen. Die Gründe, warum das so häufig geschieht, sind folgende:
Erstens wissen es viele Hebammen nicht, von welchem Nutzen die mütterliche Wärme für den Neugebornen ist. Ich habe überhaupt noch äußerst wenige Hebammen angetroffen, die bei der Pflege der Neugebornen für das Einfache und Natürliche eingenommen wären; die Meisten haben eine Sucht, an den Kindern beständig zu künsteln. Daran ist zum Theil auch das Publikum Schuld; denn gewöhnlich hält man nur solche Hebammen für geschickt, die recht viel Arzneien in Anwendung bringen. Wenn das Kind nicht schlafen kann, so suchen diese Weiber, umnebelt von falscher Gelehrsamkeit, die Ursache davon gemeiniglich da auf, wo sie nicht ist. Bald glauben sie, ein Krampf erzeuge die Schlaflosigkeit; bald sind sie der Meinung, das Kind leide an Blähungen; bald halten sie dafür, das Kindspech sei nicht gänzlich ausgeleert worden; bald vermuthen sie, die Schlaflosigkeit sei in einer Spannung und Reizung der Nerven begründet u. dgl. m. Daß aber das neugeborne Kind darum nicht schlafen kann, weil es die Bettwärme der Mutter entbehren muß, daran wird nicht gedacht, und so quält man oft den armen Säugling, der sicher ohne alle Arznei gesund geblieben wäre, wenn die Hebamme die wohlthätigen Wirkungen der mütterlichen Bettwärme zu schätzen gewußt hätte, bald mit krampfstillenden, bald mit windtreibenden, bald mit abführenden und betäubenden Arzneien, bis er schwer erkrankt, und am Ende wohl gar den Geist aufgibt.
Aber auch manchen Aerzten sind die wohlthätigen Wirkungen der mütterlichen Wärme unbekannt. Wenn die Aerzte einstimmig die entbundenen Frauen auf diesen wichtigen Umstand bei der Kinderpflege aufmerksam machen möchten: so würde man gewiß nicht gar so selten eine Kindbetterin finden, die mit ihrem Säuglinge in einem und demselben Bette schläft. Ich hatte vor vielen Jahren im Wiener Gebärhause die Aufsicht über einige Zimmer, wo beiläufig 24 Kindbetterinnen waren. Viele Aerzte, welche diese Anstalt aus Wißbegierde besuchten, fragten mich, wo denn die neugebornen Kinder seien, da man Keines von ihnen schreien hörte. Nicht wenig erstaunten diese Herren, als ich ihnen die Säuglinge zeigte, die zur Seite ihrer Mütter in tiefen Schlaf versunken waren."
So beschreibt Lauda schon 1855 das Rooming-In. Die Welt wäre ein anderer Ort, wenn es sich damals durchgesetzt hätte!
Auch das herumdoktern am Kind hat Parallelen zu heute. Da werden dem Baby Globuli und Zäpfchen gegeben, der Bauch wird mit Salben eingerieben, überhaupt wird viel nervöser Aktionismus betrieben, statt zu versuchen, den Eltern innere Ruhe zu vermitteln, die meist auf das Baby abfärbt. Auf der anderen Seite gibt es dann diejenigen, die alles abwiegeln, weil sie der Meinung sind "Babys schreien halt". Uns als Gesellschaft ist das Gefühl dafür abhanden gekommen, welches und wieviel Schreien normal ist.
"Der zweite Grund, weßwegen manche Mutter den Säugling nicht in ihr Bett nehmen will, besteht darin, daß sie befürchtet, das Kind werde, an die mütterliche Wärme gewöhnt, auf keine andere Weise in einen anhaltenden Schlaf zu bringen sein. Dieß bestätigt sich nur in jenem Falle, wenn man den Säugling, der durch längere Zeit an der Seite der Mutter geschlafen hat, plötzlich an sein Bettchen gewöhnen wollte. Auf diese Art würde die Mutter allerdings so manche Schwierigkeit zu bekämpfen haben. Wenn aber der Säugling von der mütterlichen Wärme zur gehörigen Zeit nur allmälig entwöhnt wird, so bringt man es ohne Umstände gar bald dahin, daß er, abgesondert von seiner Mutter, ruhig schläft."
'Den bekommst du nie wieder aus deinem Bett!' Eine unbegründete Sorge, die sich bis heute hält.
Auch das Schema "damit es später für mich nicht schwierig wird, zwinge ich jetzt das Kind zu etwas, wofür es noch nicht reif ist" ist in der Kindererziehung weit verbreitet. Ich denke da beispielsweise an zu früh geforderte "Selbständigkeit", zu frühes Durchschlafen oder auch an das Füttern der Kinder ohne auf deren Signale zu achten.
"Drittens halten viele Hebammen dafür, daß der Geruch von der Ausdünstung und der Kindbettreinigung des entbundenen Weibes dem neugebornen Kinde schädlich sei. Allein hätten diese Hebammen nur ein einziges Kind beobachtet, das die ersten neun Tage nach der Geburt gehörig in der Bettwärme der gesunden Mutter erhalten worden ist: so würden sie in dieser Beziehung gewiß ganz anderer Meinung sein.
Wenn die Ausdünstung der Kindbetterin dem Säuglinge schädlich wäre: so könnte er an der Seite seiner Mutter unmöglich so ruhig schlafen, und so zusehends an seinem Leibe zunehmen. Uibrigens hat ja das Kind durch die Zeit der Schwangerschaft die erste und wichtigste Ausbildung in der Dunstwärme seiner Mutter erhalten. Wie kann man also behaupten, daß die mütterliche Ausdünstung nach der glücklich überstandenen Entbindung für den Säugling schädlich sei!"
Dass die Nähe der eigenen Mutter für ein Baby schädlich sein soll, ist wirklich eine unverständliche Behauptung. In späteren Jahren - als Hygiene mit Sterilität gleichgesetzt wurde - wurde dies mit Keimen und Unreinheit begründet, aber zu Laudas Zeiten galten noch diffuse Vorstellungen von "Ausdünstungen", die schädlich sein könnten. Das Prinzip von Ansteckung war bekannt, aber nicht deren Ursachen.
"Ganz anders verhält sich jedoch die Sache, wenn die Mutter krank ist. Sowenig alle Frauen ohne Ausnahme ihre Kinder säugen können, ebenso wenig können alle mit ihren Neugebornen in einem und demselben Bette schlafen.
Obgleich es sehr viele Krankheiten gibt, bei welchen die Säugung fortgesetzt werden muß, um die Gesundheit wieder herzustellen: so gibt es doch kein einziges körperliches Uibel von Bedeutung, mit welchem die Mutter dem Kinde ihre Bettwärme angedeihen lassen könnte. Kranken Frauen würde der Säugling an ihrer Seite im Bette, wie man sich leicht vorstellen kann, sehr beschwerlich fallen. Auch würde die Ausdünstung von einer kranken Frau dem Kinde nicht nur keinen Vortheil bringen, sondern in den meisten Fällen sogar schädlich sein.
Allein gegenwärtig hat es wahrlich den Anschein, als ob alle Frauen mit der Lungensucht oder Abzehrung behaftet wären, denn man findet äußerst wenige, welche ordentlich säugen; noch seltener aber sind die Fälle, in welchen eine entbundene Frau das Kind in ihrer Bettwärme schlafen läßt."
Was Lauda hier beschreibt, sind ernsthaft erkrankte Wöchnerinnen. Da ist es in der Tat besser, das Baby schläft nicht direkt neben der Mutter im Bett. Wir können aber davon ausgehen, dass es noch immer im selben Zimmer schlief. In diesen Fällen ist die Mutter aber auch zu schwach, um sich allein um ihr Baby zu kümmern.
Beachtenswert ist der Seitenhieb auf das Nichtstillen. Es gab einige Krankheiten, die auch unter Ärzten als Stillhindernis galten. (Lungensucht kann Lungenentzündung, aber auch Tuberkulose sein, Abzehrung sind Abmagerung und Kräfteverlust, die bei vielen Krankheiten auftreten, u.a. Krebs und wieder Tuberkulose) Aber diese waren weitaus seltener als das Nichtstillen.
"Viertens sind viele Mütter der Meinung, daß die Neugebornen besser ruhen, wenn man sie gar nicht an die mütterliche Wärme gewöhnt, sondern dieselben gleich in ihrem Bettchen schlafen läßt. Frauen, die so Etwas behaupten, haben entweder gar keine Erfahrung in der Kindererziehung, oder sie schließen von einem Paar Kinder, die sie beobachteten, auf alle Uibrigen. Ich stelle nicht in Abrede, daß es Säuglinge gibt, die bei einer übrigens zweckmäßigen Wartung und Pflege auch außerhalb der mütterlichen Wärme gut schlafen. Man findet solche Kinder gemeiniglich unter den Erstgebornen, die von gesunden und nervigten Eltern abstammen. Nicht selten bringen auch jene Frauen und Weiber, die durch mehrere Jahre vorher nicht geboren haben, sehr kräftige Kinder zur Welt, welche zu einem ruhigen und anhaltenden Schlafe die mütterliche Wärme nicht benöthigen. Allein das sind nur Ausnahmen von der Regel; und selbst diese Kinder würden gewiß noch besser gedeihen, wenn man ihnen die mütterliche Wärme zu Theil werden ließe. Im Durchschnitte können aber die Kinder ohne die Bettwärme ihrer Mutter nicht ruhig schlafen, und darum haben so viele Frauen mit ihren Säuglingen Tag und Nacht eine schreckliche Plage zu überstehen."
Der vierte Punkt ist sehr ähnlich wie der zweite, der die Sorge vor der Gewöhnung beschrieb. Der Unterschied zwischen den Punkten besteht darin, dass hier bezweifelt wird, dass die Kinder bei der Mutter überhaupt besser schliefen.
Auch diese Arten von Verallgemeinerungen sind heute noch weit verbreitet. Gerne auch über die Generationen hinweg und verstärkt durch die verblasste Erinnerung. "Also du hast von Anfang an ganz prima in deinem Bett geschlafen. Warum machst du es mit deinem Kind nicht genauso?" Gerne wird dies ergänzt durch Unverständnis darüber, dass Co-Sleeping auch für die Eltern schön sein könne. "Warum tut ihr euch das an? Ihr braucht doch auch mal Ruhe."
Das kennt auch Lauda, darum kommt dieses als der fünfte Punkt.
"Fünftens nimmt manche Mutter das Kind aus dem Grunde nicht zu ihr in's Bette, weil sie auf diese Art nicht bequem schlafen zu können glaubt. Es ist zwar nicht zu läugnen, daß der Säugling in dem Bette seiner Mutter so manche Beschwerde verursacht; dieß ist jedoch nur im Anfange der Fall. Die Liebe zum Kinde und die Gewohnheit besiegen in der Folge alle Unbequemlichkeiten, und zwar um so sicherer, da die Mutter sieht, wie süß der zarte Säugling an ihrer Seite schläft, und wie auffallend er von Tag zu Tag an Kraft zunimmt."
Die moderne Schlafforschung unterstützt Lauda in dieser Aussage. Die Schlafrhythmen des primär versorgenden Erwachsenen und des Babys passen sich einander an. Der Erwachsene ist der Anwesenheit des Babys und seiner Signale im Schlaf gewahr und reagiert darauf entsprechend. Beide kommen dabei zu einem erholsamen Schlaf.
"Die Unbequemlichkeiten, die das Kind in dem Bette seiner Mutter verursacht, sind mit jenen Störungen, wenn der Säugling die ganze Nacht hindurch schreit und herum getragen werden muß, in gar keinen Vergleich zu setzen. Uibrigens muß ich die Frauen auch darauf aufmerksam machen, daß jene Unbequemlichkeiten, die der Säugling an der Seite seiner Mutter verursacht, durch ein hinlänglich breites oder sogenanntes Doppelbett sehr verringert werden können."
Leute, kauft euch ein Familienbett!
"Sechstens endlich scheuen sich manche Frauen ihre Säuglinge in's Bett zu nehmen, weil sie befürchten, dieselben im Schlafe zu erdrücken. Allein dieß ist gemeiniglich eine übertriebene Besorgniß derjenigen Mütter, welche zum Erstenmale geboren haben. Die Natur hat durch die heiße Liebe, die bei jedem unverdorbenen und gesunden Weibe gleich nach der Geburt zum Kinde erwacht, reichlich für das zarte Leben der Kleinen gesorgt. Durch die Schwangerschaft, insbesondere aber durch die Geburtsschmerzen wird der glücklich entbundenen Frau der Gedanke, daß sie Mutter ist, tief in die Seele eingeprägt. Die Wartung und Pflege ihres Sprößlings ist ihr zur wichtigsten Angelegenheit geworden. Jeder Schrei desselben erzeugt in ihr eine gewaltige Unruhe. Wo sie geht und steht, denkt sie an ihr Kind, und die Wohlfahrt desselben liegt ihr so sehr am Herzen, daß sie in keinen tiefen Schlaf verfallen kann. Bei der leisesten Bewegung oder bei dem geringsten Laute des an ihrer Seite schlummernden Säuglings erwacht sie, und besorgt Alles, was zu seiner fernern Ruhe nöthig geworden ist."
Zwar irrt Lauda insofern, als dass es nicht immer Liebe auf den ersten Blick ist (manchmal dauert es etwas bis sich die Bindung entwickelt; das ist völlig normal) und dass es nicht nur Mütter sind, auf die die Elternschaft so wirken kann. Aber seine Beobachtungen davon, wie eine gute Bindung aussieht und sich anfühlt, sind treffend.
Das traurige ist eigentlich, dass heute viele Eltern dasselbe beschreiben, aber es erst Studien und Forschungsergebnisse braucht, bevor ihnen geglaubt wird. Auch dies sind Nachwirkungen des Behaviorismus. Denn lange Zeit galt nur das von außen Messbare als wahr. Das Innenleben galt als unverlässlich oder gar irrelevant.
Nachdem Lauda nun alle sechs Gründe besprochen hat, die ihm am häufigsten genannt wurden, gibt er im folgenden Hinweise zum sicheren Co-Sleeping. Die lest Ihr hier nächste Woche. Oder schon heute auf Patreon.