Nach Entdeckung der Bakterien wurde Reinlichkeit geradezu zu einer zwanghaften Besessenheit in sämtlichen Bereichen des Lebens. Die Angst vor Ansteckung war allgegenwärtig.
Das hatte einige unschöne Folgen. Nicht nur, dass wir heute wissen, dass die Auseinandersetzung des Immunsystems mit diversen Keimen notwendig ist, um beispielsweise Allergien vorzubeugen (Stichwort: Generation Sagrotan). Nein, auch zwischenmenschlich bleibt einiges auf der Strecke, wenn man sich zuerst aufs gründlichste waschen muss, bevor man das weinende Baby hoch nimmt.
Nun ist uns ja bekannt, dass man damals sowieso der Meinung war, Babys sollten ruhig schreien; das sei erzieherisch notwendig und im Zweifelsfall sogar gut für die Gesundheit. Wenn man aber noch ein komplettes Waschritual abhalten muss, bevor man das Baby auch nur anfasst, dann muss man schon fast unweigerlich lernen, das Weinen auszublenden und sich emotional vom Kind zu distanzieren. Sonst hält man das Weinen nämlich nicht aus und zerbricht unter der Belastung, sein Kind leiden zu hören.
Übereifrige Hygienebemühungen machen dann auch noch Liebkosungen zu einer abscheulichen Sache. Die so enstehende Distanz zwischen Mutter und Kind war durchaus gewünscht. Wenn man einem Kind zu nah steht, kann man die Aufgabe der Erziehung nicht gut genug erfüllen, so die Argumentation. Und irgendie stimmt das ja auch, denn je besser die Beziehung und Bindung zum Kind, desto mehr wird man auf es eingehen. Desto weniger wird man ihm "Zucht und Ordnung" zukommen lassen.
Die aufgeührten Zitate stammen aus dem Buch der Woche, der Säuglingspflegefibel von Schwester Antonie Zerwer.