Dass ein Krankenhausaufenthalt für ein Kind ein einschneidendes Erlebnis sein kann, ist kein neues Konzept. Wie auf diese Erkenntnis reagiert wurde, war allerdings höchst unterschiedlich. Wir wissen, dass eine strenge Erziehung der Kinder in den 1930ern als positiver Nebeneffekt eines Krankenhausaufenthalts gesehen wurde. Doch was hat sich seitdem verändert?
In den 1980ern gab es noch immer feste Besuchszeiten für die Eltern. Meist waren dies nur wenige Stunden am Tag. Und der Besuch war nicht einmal gern gesehen.
Elternbesuche. Es ist nicht zweckmäßig, die Kinder unmittelbar nach der Operation im Krankenhaus zu besuchen. Aus hygienischen Gründen, aber auch aus psychologischen Erwägungen rät der Arzt den Eltern ab, zumal er den direkten Zutritt zum Kind verwehren muss. Besser ist es, die Kinder überhaupt nicht zu besuchen. Jeder Besuch bringt dem Kind die Trennung vom Elternhaus zum Bewußtsein, und jeder Weggang von Mutter oder Vater stellt eine wiederholte schwere seelische Belastung dar. Die Besuchszeiten beruhigen mehr die Eltern, als sie den Kindern nutzen; sie sollten als Sprechzeiten mit dem Arzt Verwendung finden.
Kleine Enzyklopädie - Das Kind, Irene Uhlmann und Dr. Günther Liebing (Hrsg), 5. Auflage, VEB Bibliographisches Institut, Leipzig, 1977
Nur weil das Kind aufhört, nach seinen Eltern zu weinen, heißt das doch nicht, dass es vergessen hat, von ihnen getrennt zu sein! Dass es aufhört zu weinen, heißt auch nicht, dass es ihm gut geht. Es ist nicht menschenmöglich ununterbrochen zu weinen. Selbst bei dem größten Verlust versiegen irgendwann die Tränen. Der Verlust bleibt trotzdem.
Laut Lüders Lehrbuch für Kinderkrankenschwestern (1990) betrug die durchschnittliche Verweildauer von Patient'innen in Saeuglings- und Kinderkrankenhäusern im Jahr 1985 in Westdeutschland 10,5 Tage. So lange sollen die Kinder ihre Eltern nicht sehen? Dachte man 1990 denn auch noch, das sei eine gute Idee?
3.2.2 Wie reagieren Kinder auf den Krankenhausaufenthalt?
Für Säuglinge und Kleinkinder ist davon auszugehen, daß sie mit den bekannten 3 Phasen: Protest, Resignation und scheinbare Anpassung reagieren.
Durch den Protest - Schreien, Weinen, Trotzanfall - glaubt das Kind, die Eltern herbeirufen zu können und seinen Willen durchzusetzen. (...)
Führt alles nicht zum Erfolg, fällt das Kleinkind in tiefe Resignation bis hin zur Apathie. (...)
Bei längerem Krankenhausaufenthalt tritt das Verhalten der scheinbaren Anpassung auf. Das Kind schickt sich in sein Los. (...)
Lüders: Lehrbuch für Kinderkrankenschwestern, Band 1 Das gesunde Kind und theoretischer Teil, 11. Auflage, 1990
Völlig nüchtern wird hier das Zerbrechen der kleinen Kinderseele beschrieben. Es wird nicht einmal anerkannt, dass das Kind ein Bedürfnis nach seinen Eltern hat. Vielmehr wird zwischen den Zeilen suggeriert, das Kind würde es dem Krankenhauspersonal absichtlich schwer machen, weil es nur seinen Willen (der ja bekanntlich nicht viel zählt) durchsetzen wolle. Immerhin wird anerkannt, dass es sich zuletzt nur um eine scheinbare Anpassung handelt. Das Kind wehrt sich zwar nicht mehr, aber sein Bedürfnis bleibt unverändert.
Gab es denn 1990 nicht schon Rooming-In? Doch, gab es. Im nächsten Paragraphen wird es erläutert. Insgesamt scheint dieser aber nur bei der Überarbeitung des Lehrbuchs eingefügt worden zu sein, ohne den Paragraphen 3.2.2 von der Sprache her an die Erkenntnisse anzupassen, so dass der negative Blick aufs Kind erhalten bleibt und das Rooming-In lediglich als Option, aber nicht als sinnvolle Maßnahme erscheint.
"3.2.3 Die Mitaufnahme von Eltern
Die Mitaufnahme der Eltern, das 'Rooming-In', ist eine der Maßnahmen, die aus den Erkenntnissen über die Beeinträchtigung des Kindes durch den Krankenhausaufenthalt resultieren. Die Mitaufnahme der Mutter, vor allem bei Säuglingen und Kleinkindern, wird den Möglichkeiten der einzelnen Kliniken und der familiären Gegebenheiten angemessen praktiziert. Der Trennungsschock bei Kleinkindern kann dadurch überwunden werden, das Kind findet in seiner durch die Krankheit bedingten Bedürftigkeit Trost, und die Routine bleibt durch den erhaltenen Umgang mit der Mutter weitgehend erhalten. In Einzelfällen wird bei langwierigen und schweren Erkrankungen auch bei älteren Kindern die Mutter mit aufgenommen. (...)"
Kein Wort über die psychischen Folgen eines Krankenhausaufenthalts für die Kinder außer eines "Trennungsschocks". Allein das Wort suggeriert ja, dass nur das Weggehen der Eltern für die Kinder ein Problem darstellen könne, nicht aber der Aufenthalt an sich - ähnlich wie schon oben in dem Zitat von 1977. Offensichtliche Hinweise auf psychische Folgen werden sogar abgetan mit dem Hinweis darauf, dass es keinen wissenschaftlichen Nachweis gäbe.
3.2 Der Aufenthalt im Krankenhaus
Das Hineinfinden in die fremde Umgebung, in den ungewohnten Tagesablauf mit veränderter Routine (z.B. andere Esszeiten, anderes Essen), das Herstellen notwendiger Beziehungen zu der Pflegeschwester und Mitarbeiter/innen auf derStation, die Auseinandersetzung mit den täglichen Prozeduren und deren Erdulden in Verbingung mit dem Ertragen von Schmerzen und köperlichen Missempfindungen sowie dem häufigen Vermissen geliebter Bezugspersonen sind überwältigende Aufgaben für das Kind. Eine derartige Situation kann durchaus Streßcharakter haben. Andererseits mangelt es an Forschungsbefunden, die eindeutige Aussagen gestatten.
Diese Weigerung offensichtliche Vorgänge anzuerkennen, beruht auf dem Behaviorismus, bei dem Rückschlüsse auf das Innenleben aufgrund rein äußerlicher Beobachtungen nicht zulassen waren.
Heute empfiehlt die Gesellschaft der Kinderkrankenhäuser und Kinderabteilungen in Deutschland e.V. (GKinD) Rooming-in für alle Kinder vor dem 9. Geburtstag. Die Krankenkassen übernehmen die Kosten, wenn Ärzt'in die Notwendigkeit bescheinigt. Die GKinD hat ein Gütesiegel zur Qualitätssicherung für die stationäre Versorgung von Kindern und Jugendlichen entwickelt. Das Siegel gibt es seit 2008 und trägt den Namen Ausgezeichnet. Für Kinder.
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