Ich war gerade krank. Irgendein blödes Virus hat mich über eine Woche lang völlig aus der Bahn geworfen. So elend ging es mir noch nie, und nach vierzehn Tagen bin ich noch immer nicht wieder richtig fit.
Warum erzähle ich das? Um euch zu sagen: Sowas braucht kein Mensch! "Mein" Virus war vermutlich nicht präventabel und ich werde auch keinen Schaden davon tragen. Doch ich wünschte, es wäre ausgerottet wie die Pocken. Wir haben heute die Möglichkeit, Krankheiten auszurotten, und das sollten wir auch nutzen! Niemand sollte unter präventablen Krankheiten leiden müssen.
Mit den Pocken haben wir dieses Ziel zum Glück erreicht. Diese waren nicht nur als Krankheit schlimm, sondern lebensbedrohlich und hinterliessen oftmals schwere Schäden. Was nötig war, um dieses Ziel zu erreichen, war allerdings auch nicht ohne!
Bezeichnung
Erreger
Infektion
Inkubationszeit
Krankheitsbild und -verlauf
Komplikationen und Folgen
Epidemien
Die Impfung
Impfpflicht
Gewinnung des Impfserums
Impfschäden
Umgang mit Gegenstimmen
Bezeichnung
Pocken, Blattern, Variola
Erreger
Variola-Virus. Am 8. Mai 1980 wurden die Pocken von der WHO als ausgerottet deklariert.
Infektion
1964
"Sie erfolgt direkt von Mensch zu Mensch (Atemluft, Hustentröpfchen, Pustelinhalt, Borken), aber auch durch Staub. Die Ansteckungsgefahr ist sehr groß. Deshalb strengste Isolierung des Kranken und Desinfektion bei Ausbruch der Krankheit."
Werner Catel
Inkubationszeit
1964
12-14 Tage
Werner Catel
Krankheitsbild und -verlauf
1964
"Prodomalstadium: Im Gegensatz zu den Windpocken sind die Promodalsymptome sehr ausgeprägt: Hohes Fieber (meistens drei Tage lang), Schüttelfrost, Kreuzschmerzen, Delirien.
Exanthemstadium: Mit Ausbruch des Hautausschlages kehrt die Temperatur zunächst zur Norm zurück. Das Exanthem besteht, wie bei den Windpocken, anfänglich aus kleinen roten Flecken auf der Haut und Schleimhaut, aus denen sich wasserhelle Bläschen und später unter erneutem Fieberanstieg gelbgefärbte Bläschen (Eiterpusteln) entwickeln. Durch Aufplatzen derselben können große Teile der Körperoberfläche vereitern. treten in den Pusteln Blutungen auf, so entsteht das Bild der schwarzen Blattern. Die Pusteln trocknen schließlich ein und bilden Borken, die unter Hinterlassung von Narben abfallen. Sind die Augenbindehäute an der Erkrankung beteiligt, so kann Erblindung die Folge sein. Im Gegensatz zu den Windpocken zeigt das Exanthem bei den echten Pocken überall die gleichen Stadien der Entwicklung, d.h. also, die Ausbildung einer sog. Sternkarte (s. oben) fehlt."
Werner Catel
1891
"Die Pocken, Blattern waren früher eine der verheerendsten Krankheiten, welche jedoch von den Kindern durch die Impfung abgewendet werden kann, insofern dieselbe von einem glücklichen Erfolge begleitet ist. Die Pockenkrankheit ist daher eine Seltenheit geworden.
Dem Ausbruche der Krankheit geht 4, 8 bis 14 Tage ein allgemeines Unwohlsein voraus, das sich in Mattigkeit in den Gliedern, Schlaflosigkeit, Appetitlosigkeit, Unruhe äußert und später von Frösteln, Kopfschmerz, Schwindel, Brechreix und rheumatismusähnlichen Schmerzen besonders im Rücken, von anhaltendem, abends sich steigerndem Fieber begleitet ist. Die Ausdünstung hat einen eigentümlichen Geruch, und nachdem das Fieberstadium 3 bis 3 1/2 Tage gedauert hat, bricht der Ausschlag unter brennender Empfindung im Gesichte in zerstreuten, flohstichähnlichen, lebhaft roten, linsengroßen Fleckchen aus, in deren Mitte sich ein dunkler roter Punkt zeigt. Am folgenden Tage verbreitet sich der Ausschlag über Brust und Arme und endlich über den Unterleib und die Beine. Nachdem die Pocken binnen drei Tagen vollkommen zum Ausbruche gekommen sind, laßt das Fieber bedeutend nach oder hört zuweilen ganz auf, und die Kranken klagen nur noch über Jucken und Brennen in der Haut.
Nach 12-24 Stunden erhebt sich der dunkelrote Punkt in den Flecken und bildet ein rotes Knötchen, das sich am nächsten Tage in ein mit einer hellen Flüssigkeit, der Pockenlymphe, gefülltes Bläschen von runder Form und Linsen- oder Erbsengröße verwandelt. Diese Bläschen unterscheiden sich von anderen ähnlichen Ausschlägen durch einen auffallenden, eingedrückten Mittelpunkt, eine Delle, und den roten Hof um sie herum; sie bleiben 2-3 Tage unverändert, beginnen sich dann am 6. oder 7. Tage der Krankheit zu trüben, indem die früher helle Flüssigkeit zuerst milchweiß und bis am 9. Tage dick und gelblich, eiterig wird. Um jede Pocke zeigt sich ein entzündeter roter Ring. Mit der Eiterung stellt sich von neuem ein gewöhnlich heftiges Fieber und gesteiderte Anschwellung der Haut, besonders am Kopfe, ein. Vom 10. Tage der Krankheit an beginnt das Abtrocknen der prall angefüllten, härtlich anzufühlenden Eiterblasen und zwar in derselben Ordnung, wie sie ausgebrochen sind; sie werden unter Abnahme der Hautanschwellung und Hautröte zuerst im Mittelpunkte dunkler, platzen auf oder trocknen ein und bilden dann allmählich dicke, braune und endlich schwärzliche Krusten, den Pockenschorf, der nach kürzerer oder längerer Zeit, gewöhnlich nach 8 Tagen abfällt und anfangs dunkelrote Flecken hinterhäßt, die in der Kälte bläulich werden, sich allmählich zusammenziehen und endlich eine eingesunkene weiße Narbe zurücklassen. - Mit dem Abtrocknen der Pusteln beginnt das Fieber unter riechenden Schweißen allmählich zu verschwinden.
(...) Nach überstandener Krankheit ist ads Krankenzimmer und dessen gesamter Inhalt der sorgfältigsten Reinigung und Desinfektion zu unterwerfen."
Marie Susanne Kübler
Komplikationen und Folgen
1964
"Sind die Augenbindehäute an der Erkrankung beteiligt, so kann Erblindung die Folge sein."
Werner Catel
1891
"Die Pockenpusteln befallen in schweren Fällen auch die Schleimhäute des Mundes, der Nase, des Rachens, ja selbst des Magens. Nicht selten wird auch das Auge und das Gehörorgan von der Krankheit ergriffen. Die Pocken können somit nicht nur entstellende Narben, sondern auch Blindheit und Taubheit zur Folge haben. Der Tod tritt mitunter ein durch eine förmliche schwere Vergiftung des Organismus mit dem Ansteckungsstoffe."
Marie Susanne Kübler
1932
"Noch vor dreißig Jahren war der Name des Plattern oder Pocken, ein Wort des Schreckens für jede Mutter. Nicht ohne Furcht und Zagen konnte eine zärtliche Mutter an diese Krankheit denken, wenn ihre Kinder sie noch nicht überstanden hatten. Denn seit undenklichen Zeiten, seit mehr als einem Jahrtausend, wie die Geschichte lehrt, war diese Seuche eine Pest für die aufblühende Menschheit gewesen.
Keines Alters, keines Geschlechtes schonend, wenn gleich der Kindheit vorzüglich nachstellend, zog diese Seuche wie ein Würgeengel durch die Welt und mordete, wohin sie kam, Tausende; oft die Halbschied aller, die ihre Gewalt noch nicht erfahren hatten. Tausend und aber Tausende von blühenden Kindern wurden, nach den schrecklichsten Qualen, den Armen der zärtlichen Aeltern entrissen, ohne daß die Kinst der Aerzte zu retten vermogte!
Aber nicht genug! auch von denen, welche die heilsame Kunst vom unmittelbaren Tode errettete, sanken noch viele späterhin als Opfer der innern Zerstörungen, welche die schreckliche Krankheit heimtückisch zurückließ, und zahlreich waren die Unglücklichen, denen unheilbare Uebel, Blindheit, Taubheit, Lähmungen und Geschwüre zurückblieben. Selbst unter den Glücklichen, denen es gelang, Leben und gesundheit aus dieser Seuche zu retten, hatten viele Tausende mindestens den Verlust der Schönheit zu beklagen, und die entstellenden Spuren, welche die schreckliche Krankheit zurückließ. - Die Nachwelt wird sich entsetzen vor dem Bilde dieser Krankheit, dessen Wahrheit das jetzt lebende Geschlecht noch großentheils als Augenzeige, erkannt hat. "
Adolph Henke
Epidemien
1832
"Die wahren natürlichen Blattern gehören zu den verderblichsten und tödtlichsten Seuchen, welche das menschliche Geschlecht je gekannt hat.
Nach genauen Berechnungen aus den Sterbelisten des vorigen Jahrhunderts starben in Europa im Durchschnitt jährlich über 450,000 Kinder an den Pocken; in Frankreich jährlich 60,000, im Königreich Preußen 27,000 u.s.f.
Epidemien von Blattern, in welchen von 100 befallenen Kindern nur 10 starben, nannte man gutartig, in bösartigen starben 30 bis 40 Kinder von hundert. Einzelne Aerzte haben wohl behauptet, in unsrer Zeit seien die Menschenblattern überhaupt gelinder, gutartiger geworden, und könnten nicht mehr so verheerend und tödtlich sich zeigen, wie noch in der Mitte und gegen das Ende des vorigen Jahrhunderts. Daß eine solche Behauptung irrig ist, beweisen aber die Erfahrungen aus der neuesten Zeit.
Im Jahr 1828 herrschten im Sommer in der Stadt Marseille und der umliegenden Gegend wahre Menschenpocken und Varioloiden zu gleicher Zeit. Die mit Kuhpocken geimpften Kinder und jungen Leute, welche angesteckt werden, bekamen die Varioloiden; die Nichtgeimpften die wahren Pocken. Von 30,000 Geimpften wurden 2000 von den Varioloiden befallen, von denen 20 gestorben sind. Von 8000 Nichtgeimpften bekamen aber 4000 die wahren Menschenpocken, und von diesen starben 1000. - An den Varioloiden starb also von hundert Erkrankten nur einer, an den wahren Menschenpocken aber von hundert fünf und zwanzig.
Es kann nicht leicht einen sicherern Beweis über die Möglichkeit sehr bösartiger Pocken auch in unserer Zeit, so wie über die geringe Tödtlichkeit der Varioloiden geben als diese Thatsachen, die aus amtlichen Berichten der in Marseille im J. 1828 niedergesetzten Commission von Aerzten entlehnt sind.
Nimmt man an, daß von 100 Varioloiden-Kranken einer stirbt, so giebt es außer den sogenannten Wind- und Wasserpocken keine hitzige (mit Fieber begleitete) Ausschlagkrankheit der Kinder, die weniger tödtlich sich zeigt; denn auch bei den gutartigsten Epidemien von Scharlach, oder Masern (Flecken), oder Frießel stirbt von 100 Kranken mindestens einer, wenn nicht einige, - bei weitem mehrere aber, wenn diese Krankheiten mit Nervenfieber verbunden sind, wie allgemein bekannt ist."
Adolph Henke
Die Impfung
Die Impfung ist eine Ansteckung mit den Kuhpocken. Sie macht das Kind also in der Tat krank. Die Kuhpocken sind nicht ungefährlich, aber wesentlich harmloser als die echten Pocken.
1921
"Die Impfung verläuft folgendermaßen: Der Impfstoff wird dem Kinde in einige (etwa 4) seichte Hautschnittchen eingestrichen. Bereits am folgenden Tage und weiterhin immer stärker zeigt sich längs der Impfschnittchen eine Rötung und Schwellung, die sich etwa am Ende der ersten Woche in ein längliches, zunächst grauweißes, später gelbes Bläschen umbildet. Angang der zweiten Woche schwillt die Umgebung der Impfstelle - in manchen Fällen bis zu Handtellergröße - unter starker Rötung an. Etwa vom 10. Tage an trocknen die Bläschen ein, die Rötung und Schwellung bildet sich schnell zurück und die entstandenen Schorfe fallen nach etwa 3 Wochen unter Zurücklassung einer kleinen Narbe ab.
An den Tagen, an denen die Impfbläschen auf der Höhe ihrer Entwicklung stehen, also Ende der ersten, Anfang er zweiten Woche, ist das Allgemeinbefinden des Kindes oft gestört. Die Körpertemperatur ist erhöht, die Eßlust gering, die Stühle können unregelmmäßig sein. Diese Beschwerden pflegen mit dem Abheilen der Impfbläschen zu verschwinden."
Dr. Otto Köhler
1892
"Die Einimpfung der Schutzblattern selbst betreffend, so besteht sie darin, daß der Impfstoff, eine klare helle Feuchtigkeit, entweder aus der Pocke des Euters eines Kalbes (die sogenannte animale Impfung), oder aus Impfpocken geimpfter Kinder mittelbar oder unmittelbar genommen, mittelst einer Impflancette durch einen kleinen Stich oder Schnitt in die Haut des Kindes in sehr geringer Menge unter dieselbe gebracht wird; die Stelle, welche man hierzu wählt, ist gewöhnlich der Oberarm. Diese kleine Operation ist so wenig schmerzhaft, daß manche Säuglinge ohne die geringste Aeußerung eines Schmerzgefühls während derselben ruhig an der Brust forttrinken."
Friedrich August von Ammon
Impfpflicht
1954
"Nach dem österreichischen Impfgesetz muß jedes Kind bis zum Ende des Kalenderjahres, in dem es sein erstes Lebensjahr vollendet (am besten im zweiten Lebenshalbjahr, weil es in dieser Zeit am seltensten zu Komplikationen kommt), geimpft werden. Im zwölften Lebensjahr muß die Impfung wiederholt werden."
Helene Howad
1930
"Der Impfschein muß sorgfältig aufbewahrt werden, da er zum Schuleintritt verlangt wird."
Prof. Dr. W. Birk, Prof. Dr. A. Mayer
1921
"Nach dem deutschen Impfgesetz muß jedes Kind in dem Jahr, in dem es sein erstes Lebensjahr vollendet, geimpft werden. Durch die Impfung erlangt der Mensch einen hohen Schutz gegen eine Ansteckung mit den echten Pocken, ein Vorteil, demgegenüber die Beschwerden, die die Impfung für das Kind mit sich bringt, kaum ins Gewicht fallen dürfen. Die Impfung muß stets sachgemäß - als von einem Arzte - vorgenommen werden und ist dann ein ungefährlicher Eingriff. (...)
Kranke Kinder, insbesondere aber Kinder mit Hautausschlägen, solen laut Gesetz von der Impfung zurückgestellt werden. Zwischen dem 6. und dem 8. Tage müssen die geimpften Kinder dem Impfarzte wieder vorgestellt werden. Sie erhalten dann ihren Impfschein."
Dr. Otto Köhler
1892
"Auf Grund dieser Erfahrungen ist daher für das Deutsche Reich mit dem 1. April 1875 ein Impfgesetz eingeführt worden, welches bestimmt, daß der Impfung mit Schutzpocken unterzogen werden soll: 1) jedes Kind vor dem Ablaufe des auf sein Geburtsjahr folgenden Kalenderjahres, sofern es nicht nach ärztlichem Zeugniß die natürlichen Blattern überstanden hat; 2) jeder Zögling einer öffentlichen Lehranstalt oder einer Privatschule, mit Ausnahme der Sonntags- und Abendschulen, innerhalb des Jahres, in welchem der Zögling das zwölfte Lbensjahr zurücklegt, sofern er nicht nach ärztlichem Zeugniß in den letzten fünf Jahren die natürlichen Blattern überstanden hat oder mit Erfolg geimpft worden ist. In jedem Bundesstaate sind Impfbezirke gebildet worden, deren jeder einem Impfarzte unterstellt ist. Dieser Impfarzt nimmt in der Zeit von Anfang Mai bis Ende September jeden Jahres an den vorher bekannt zu machenden Orten und Tagen für die Bewohner des Impfbezirkes Impfungen unentgeltlich vor. Ist eine Impfung nach dem Urtheile des Arztes erfolglos geblieben, so muß sie spätestens im nächsten Jahre und dalls sie auch dann erfolglos bleibt, im dritten Jahre wiederholt werden. Außer den Impfärzten sind nurAerzte befugt, Impfungen vorzunehmen. Ueber jede Impfung wird vom Arzte ein vorgeschriebener Impfschein ausgestellt, und sind Eltern, Pflegeeltern und Vormünder gehalten, mittelst dieser Scheine den Nachweis zu führen, daß die Impfung ihrere Kinder oder Pflegebefohlenen erfolgt, oder aus einem gesetzlichen Grunde unterblieben ist. Auf die Nichtbefolgung dieser gesetzlichen Vorschriften sind Geldstrafen bis zu 50 Mark oder Haft bis zu drei Tagen gesetzt. - Dies sind die wichtigsten Bestimmungen eines Gesetzes, dessen wohlthätige Folgen von Jahr zu Jahr merh hervortreten werden."
Friedrich August von Ammon
1883
"Für das erste Lebensjahr des Kindes ist noch eine höchst wichtige Maaßregel zu besprechen, welche glücklicher Weise jetzt in Deutschland staatlich geregelt ist, da merkwürdiger Weise die Menschen oft zu ihrem Heile gezwungen werden müssen."
Dr. med. Ernst Kormann
1875
"Die Impfung geschieht bei uns gewöhnlich in der Zeit des kindlichen Lebensalters, welches zwischen 6 Monaten bis zwei Jahren liegt, und es wird dabei jedesmal Rücksicht darauf genommen, daß dieser Impfact nicht in eine Zeit fällt, wo das Kind an dem Zahnen leidet oder krank ist. Als die Impfung der Kuhpocke auf den Menschen und von diesem wieder auf Menschen als Schutzmittel erkannt und im Anfange dieses Jahrhinderts von England ausgehend, bei uns gesetzlich eingeführt wurde, glaubte man, daß eine einmalige Impfung hinreiche, um für Zeit des Lebens die Ansteckungsfähigkeit für das Pockengift abzutödten; nach Verlauf eines etwa dreißigjährigen Impfzwanges hatte sich aber herausgestellt, daß auch viele in der Kindheit Geimpfte, mit vollständig charakteristischen Impfnarben versehen, von Pocken befallen wurden, und es hatte die weitere Erfahrung gelehrt, daß die längste Dauer des Schutzes einer einmaligen Impfung nicht über dreißig Jahre hinaus währte und Menschen, die dennoch über diese Zeit hinaus von der Pockenansteckung bei gelegenheit von Epidemien dieser Seuche verschont blieben, überhaupt keine Disposition für dieses Contagium haben, daß aber bei den meisten Geimpften die Schutzwirkung nur 10, 15 bis 20 Jahre andauert. Aus duesem Grunde hat man die Revaccination, die wiederholte Impfung, für nothwendig erachtet und un manchen Staaten, so und Deutschland, die zehnjährige Revaccination gesetzlich eingeführt."
Hermann Klencke
Gewinnung des Impfserums
1930
"Früher wurden die Kinder mit dem Inhalt aufgegangener Impfpusteln anderer Kinder geimpft. Dabei konnten natürlich mancherlei andere Krankheiten übertragen werden. Jetzt wird mit dem Inhalt von Impfpusteln gesunder Kälber geimpft (Kuhpockenlymphe)."
Prof. Dr. W. Birk, Prof. Dr. A. Mayer
1891
"Da Impfstoff von Kälbern oder Kühen, welcher der beste ist und vor Übertragung von geheimen ansteckenden menschlichen Krankheiten durchaus sichert, jetzt infolge Einrichtung öffentlicher und privater Impfinstitute überall erhältlich ist, so kommt die früher allgemein übliche Impfung von Arm zu Arm gegenwärtig nur noch ausnahmsweise in Anwendung."
Marie Susanne Kübler
1875
"Wurde das Kind von einem Impfarzte oder von befreundeten Müttern ausersehen, daß von seinen Pusteln Lymphe zum Weiterimpfen aufgenommen werde, so muß dies am 7.-8. Tage nach der Impfung geschehen, und es ist darauf zu achten, daß nur wenige Pusteln zu diesem Zwecke benutzt und dueselben nicht gereizt oder zerrissen, sondern mit der Lanzette seitwärte und vorsichtig angestochen werden, um die Spitze des Instrumentes zu befeuchten, ohne daß auch nur das geringste Blut dabei hervortritt und mit der Lymphe gemischt wird; eine Bedingung, deren Wichtigkeit noch weiter erklärt wird."
Dr. med. Hermann Klencke
Impfschäden
1875
"Die Lymphe kann Siechgift enthalten, oder, wo sie relativ rein ist, Siechthum hervorrufen. - Wir gehören nicht zu Denjenigen, welche jede Schutzblatternimpfung verdammen, weil sie in vielen Fällen Blutentmischungen aus einer Familie in die andere übertrug; wir zählen uns nicht zu Denen, welche unnachweisbar behaupten, daß seit der Schutzblatternimpfung die Kinderkrankheiten, Scharlach, Masern etc. gefährlicher aufträten, daß der Schutz vor Pocken für andere Krankheiten, wie Scropheln, Schwindsucht und Nervenfieber empfänglicher mache; wir fordern aber, daß die Impfung mit Lymphe aus Kinder stattfinde, die alle Anzeichen der Gesundheit an sich tragen und deren Familienblut eine physische und moralische Garantie leistet; daß man nicht vom ersten besten Kinde oder fremden Glasplättchen, das zur Hand ist, sondern erst nach gewissenhafter Nachforschung, Auswahl und Prüfung impfe und aufnehme. Die üblen Erfahrungen haben, und das mit ungerechter Anklage gegen die Schutzblattern überhaupt, in vielen Gegenden, so z.B. in Süddeutschland, ganze Gemeinden veranlaßt, die Impfung ihrer Kinder zu verweigern. Die neueren Erfahrungen haben nachgewiesen, daß die reine, nicht mit Blut verunreinigte Lymphe, selbst wenn sie von kränklichen Kindern entnommen wäre, kein Siechgift aus dem Blute in sich aufgenommen, sondern sich ganz specifisch aus dem Blute der Impfpustel regenerirt hat, daß sie aber, wenn der Organismus des Kindes, von dem die Lymphe reproduciert wurde, von zu schwächlicher Natur sein kann, um eine hinreichende Schutzkraft zu besitzen. Anders verhält es sich aber, wenn die Lymphe beim unvorsichtigen oder nicht kunstfertigen Anstechen der Pustel mit etwas Blut gemischt wurde; in dieser auch noch so geringen Blutspur kann ein Ansteckungsstoff, sei es Syphilis, Tuberculose etc. enthalten sein und im Impflinge haften; gerade hierin liegt die mögliche Gefahr, und da der Staat die Impfung gesetzlich vorschreibt und die Unterlassung bestraft, so hat er auch die Pflicht, die Reinheit der Lymphe, welche er namentlich bei vorkommenden Massenimpfungen und Revaccinationen von den amtlichen Central-Impfstellen aus versendet, streng zu controliren."
Dr. med. Hermann Klencke
Umgang mit Gegenstimmen
1917
"Dieselben Mütter aber, die diesen überflüssigen und nicht ungefährlichen Eingriff (Ohrlochstechen, Anm. d. Red.) so leichten Herzens von einem Handwerker vornehmen lassen, pflegen vor der Impfung, die nicht nur völlig gefahrlos, sondern sogar sehr nötig ist, eine heillose Angst zu haben und ihr alle erdenklichen bösen Folgen zuzuschreiben. Auch hier wird wiederum das zeitliche Zusammenfallen zweier Erscheinungen als ursächlich gedeutet. Wenn Volksaufklärung geistige Entgiftung des Volkskörpers ist, gibt es denn keine Zensur für die impfgegnerische Agitation, um die Vergiftung der Volksseele nicht so weit kommen zu lassen?"
Dr. Heinrich Keller
1891
"Die Erfahrung von nahezu einem Jahrhundert hat denn auch bewiesen, daß die Vorteile der Impfung unleugbar sind und durch sie eine große Menge Menschen, die früher von der Seuche dem Tode geweiht wurden, gerettet werden, ja daß sie selbst in den Fällen, wo sie die Pocken nicht unterdrückt, dieselben so bedeutend mildert, daß sie meist einen unschädlichen Verlauf nehmen.
Dennoch haben sich besonders in neuerer Zeit viele Stimmen gegen die Impfung erhoben. Man beschuldigt sie, daß sie den Keim vieler, früher unbekannten Krankheiten in die Menschheit lege und, indem sie die Pocken unterdrücke, dafür die Zahl der typhösen Fieber und der skrofulösen Krankheiten vermehre, daß viele Kinderkrankheiten, wie Scharlach, Masern u. dgl., seither in ihrem Verlaufe hartnäckiger und gefährlicher geworden seien und bei weitem mehr Opfer als früher verlangen, und daß sie in anderer Beziehung die Sterblichkeit, welche ehedem das kindliche Alter traf, in das Mannesalter übertragen habe.
Nun ist es aber Thatsache, daß früher eine große Zahl Kinder von den Blattern hinweggerafft wurden, die jetzt durch die Impfung gerettet werden, und daß alle jene gefährlichen epidemischen Kinderkrankheiten wie Scharlachfieber und Masern, heutzutage bei weitem nicht mehr so gefährlich auftreten und so viele Opfer fordern, wie es vor Zeiten der Fall war. Man beschuldigt ferner die Impfung, daß durch dieselbe gewisse Krankheiten übertragen werden können und übertragen worden seien. Letztere Thatsache ist leider richtig. Immerhin ist dies aber außerordenlich selten vorgekommen und läßt sich ein solches unglückliches Ereignis bei Aufwand der gewöhnlichen Vorsicht und Beobachtung der gesetzlichen Vorschriften durchaus vermeiden."
Marie Susanne Kübler
1832
"Sollte man es glauben, daß es in unsern Tagen Aeltern, daß es Mütter geben könne, welche die schreckliche Tödtlichkeit und Gefahr der Menschenblattern aus eigner Erfahrung kennen, die Gelegenheit hatten, sich durch tausendfältige Beispiele von der Gelindigkeit und der schützenden Kraft der Kuhpocken zu überzeugen, und sich dennoch der Impfung widersetzen? -
Aber leider gibt es deren! und während in den wüsten russischen Steppen die Kirgisen und Tungusen Reisen von zwanzig und mehreren Meilen machen, um ihre Kinder impfen zu lassen, und den impfenden Arzt wie einen Priester verehren, blieben in einer der größten und gebildesten Städte Deutschlands, in dem hochgebildeten Berlin, die Aufforderungen und Warnungen eines achtungswerthen Arztes zu allgemeiner Impfung fruchtlos, und noch immer fallen in dieser Stadt zahlreiche Opfer der verheerenden Seuche! Geschieht das in den Städten, soll man sich dann wundern, wenn hin und wieder in einem Dorfe das unwissende verblendete Landvolk sich der Schutzpockenimpung widersetzt, oder sie vernachläßigt?
Aber für diese Unmündigen an Verstande wird, man darf es hoffen, die Regierung bald die Vormundschaft übernehmen, und wie Baierns weiser Regent, durch ein wohlthätiges Gesetz die Impfung der Schutzblattern allgemein machen."
Adolph Henke